Wie Zellen Düfte erkennen
„Ich kann Dich nicht riechen", dieser Ausspruch zeigt, dass der
Geruchssinn nicht allein Tausende von Düften unterscheiden kann. Er
löst auch Stimmungen und Emotionen aus. Heute wissen wir, was
geschieht, wenn ein Duftmolekül auf die Riechzellen trifft, und bald
wird die „künstliche Nase" Gefahr signalisieren oder den verlorenen
Geruchssinn ersetzen können.
Bevor Lebewesen sehen und hören konnten, waren sie in der Lage zu
riechen. In 500 Millionen Jahren der Evolution war es der
Geruchssinn, der dem Gehirn ein wichtiges Fenster zur Welt geöffnet
hat, der informierte, was essbar ist oder giftig, welches der
richtige Sexualpartner ist und der zu Orientierung, Warnung und
Sozialverhalten beitrug. Bei den primitiven Wirbeltieren machte das
Riechhirn den größten Teil des gesamten Gehirns aus und die
neuronalen Mechanismen der Signalverarbeitung, die sich dabei
entwickelten, standen Modell für alle anderen Sinne wie Sehen oder
Hören. Trotz seiner ungeheuren Komplexität und Leistungsfähigkeit
organisiert sich auch das menschliche Gehirn immer um das
olfaktorische System. Für den Menschen hat dieses archaische
Sinnessystem weit weniger an Bedeutung verloren, als gemeinhin
angenommen wird. Düfte können Auslöser für Sympathie und Antipathie
sein, Stimmungen und Emotionen beeinflussen, das Sozial- und
Sexualverhalten steuern, den Hormonstatus verändern und als
chemische Kommunikationsmittel dienen. Auch körperliche Funktionen
können direkt beeinträchtigt werden, wie wir durch Experimente im
Schlaflabor zeigen konnten.So
erhöht z.B. Orangenduft die Pulsrate und die Atmungstätigkeit,
während Fäulnisduft beide senkt.
Bislang war nur wenig über den molekularen Hintergrund der
Geruchswahrnehmung bekannt. Die Komplexität der Geruchswelt ist wohl
Hauptgrund für dieses Wissensdefizit.Wir können unbegrenzt viele
Duftstoffe wahrnehmen und mehr als 10.000, selbst in äußerst
geringen Konzentrationen, unterscheiden. Was geschieht, wenn ein
Duftmolekül auf der Riechschleimhaut absorbiert wird und von der
Riechzelle ein elektrischer Strom zu unserem Riechhirn
weitergeleitet wird? Inzwischen weiß man, dass sich in der Membran
unserer Riechsinneszellen Proteine, sog. Riechrezeptoren, befinden,
die mit den Duftmolekülen wechselwirken können. Werden sie durch
einenDuft aktiviert,
sind sie in der Lage, über zwischengeschaltete sog. G-Proteine in
der Zelle eine biochemische Signalkaskade zu starten, die zur
Herstellung eines zweiten Botenstoffes (second messenger) führt.
Dieser Botenstoff, zyklisches Adenosin- monophosphat (cAMP), öffnet
dann spezifische Ionenkanäle (cAMP-Kanäle) in der Membran unserer
Riechzellen, durch die positiv geladene Ionen (Natrium, Kalzium) aus
dem Nasenschleim in die Riechzelle strömen und dadurch das
Ruhemembranpotential (etwa -70 mV) dieser Zellen in positive
Richtung verschieben. Überschreitet eine solche Veränderung, auch
Rezeptorpotential genannt, eine gewisse Schwelle (-50 mV) so
entstehen Aktionspotentiale (Analog-Digital-Wandlung) und diese
werden über den langen Nervenfortsatz bis in unser Gehirn geleitet
(Abb. 1). Dort findet dann die Analyse der einlaufenden Information
statt und erlaubt uns, einen bestimmten Duft zu
identifizieren und von anderen Düften zu unterscheiden.
Einen Meilenstein im Verständnis der Signalübertragung stellt das
Jahr 1991 dar: Die beiden wichtigsten Proteine für die Erkennung und
Umsetzung eines Duftreizes in eine elektrische Antwort der
Riechzelle wurden bei der Ratte isoliert und kloniert - der
Riechrezeptor und der cAMP-Kanal. Wir konnten 1996 zum ersten Mal
diesen Ionenkanal an menschlichen Riechzellen mit
elektrophysiologischen Methoden identifizieren und vermessen.1998
konnten wir auch den ersten menschlichen Riechrezeptor klonieren und
charakterisieren.
Das Rezeptorprotein besteht aus einer Kette von ca. 320 Aminosäuren,
die sich in charakteristischer Weise siebenmal durch die Membran der
Riechsinneszelle schlängelt (Abb.1). Am Beginn dieser Untersuchungen
standen die beiden wichtigen Fragen, ob die bei der Ratte gefundenen
Proteine tatsächlich die gesuchten Riechrezeptoren sind und wenn ja,
ob diese Rezeptoren auch
in ähnlicher Form in der menschlichen Nase vorkommen.
Erste
Hinweise dafür lieferten Befunde, nach denen die gesuchten
Riechrezeptoren nur in den Riechzellen (und Spermien) vorkommen und
dass es eine zahlenmäßig sehr große Genfamilie von mindestens 1.000
Mitgliedern gibt, die entsprechend viele unterschiedliche Proteine
erzeugt. Bei der Vielzahl von unterscheidbaren Gerüchen hatte man
eine Zahl in dieser Größenordnung erwartet.
Für einen gesicherten Beweis war es notwendig zu zeigen, dass diese
Proteine Düfte erkennen und unterscheiden können und dass sie in der
Lage sind, in der Zelle die Signalübertragungskaskade anzuschalten.
Experimentell gingen wir deshalb folgendermaßen vor: Wir klonierten
zuerst eine Reihe von Genen dieser Rezeptorproteine, die in einem
Genabschnitt auf Chromosom 17 des Menschen zu finden sind; weitere
Rezeptorgene findet man auf Chromosom 6, 11, 19 usw.
Das klonierte Erbgut (cDNA) eines dieser Rezeptoren (17-40)
wurde in ein Bakterienplasmid eingebaut, das als Vektor dient, indem
es dieses Gen in bestimmte Zelllinien, z.B. embryonale menschliche
Nierenzellen, einschleust. Ob die Riechrezeptorproteine auch in den
fremden Zellen funktionsfähig sind und auf einen bestimmten Duft reagieren,
sollte dann geprüft werden. Zuvor mußten zwei wichtige Fragen
geklärt werden: Wie findet man unter den Tausenden von möglichen
Düften den zum Rezeptor passenden und wie kann man erkennen, ob eine
Nierenzelle etwas ,,gerochen" hat? Mit einer Mischung von 100 in der
Parfümerie häufig verwendeten, chemisch sehr unterschiedlichen
Duftsubstanzen (Alkohole, Aldehyde. Ketone, Amine, aliphatische und
aromatische Kohlenwasserstoffe, Heterocyclen usw.), zusammengestellt
von der Firma Henkel,ließ sich ein breites Spektrum abdecken. Das
zweite Problem konnte gelöst werden, indem wir die intrazelluläre
Kalziumkonzentra tion, die in menschlichen Riechzellen nach Zugabe
eines Duftes ansteigt, als Untersuchungsmerkmal (Marker) nutzten.
Mit Hilfe des sog. Kalzium-Imaging-Systems läßt sich mit optischen
Methoden, ohne die lebende Zelle zu schädigen, life und in Echtzeit
die Veränderung der Kalziumkonzentration messen und damit die
Reaktion der Nierenzelle auf Duftzugabe studieren.
Der von uns isolierte menschliche Riechrezeptor antwortete
tatsächlich auf die „Henkel-100-Mischung" (Abb.3A). Durch
Unterteilung der Mischung in kleinere Gruppen von Duftstoffen
konnten wir dann zeigen, dass nur eine einzige Substanz der Mischung
in der Lage war, unseren Rezeptor zu aktivieren, die anderen 99
Substanzen erwiesen sich als vollständig unwirksam. Der Duft dieser
Substanz - Helional - erinnert an eine frische Meeresbrise. Trotz
Testung verschiedener in ihrem chemischen Aufbau dem Helional sehr
ähnlicher Moleküle konnten wir nur noch eine weitere wirksame
Substanz finden, das Heliotropylaceton (Abb.5). Dieser erste
klonierte und identifizierte menschliche Riechrezeptor (HT 7-40)
reagiert sehr spezifisch nur auf eine bestimmte molekulare Struktur
und bereits kleine Änderungen am Molekül führen sehr schnell zu
einem völligen Verlust der Wirksamkeit. Die Schwellenkonzentration
für die Düfte war extrem niedrig, im nanomolaren Bereich, und
stimmte mit Befunden von Verhaltensexperimenten überein. Inzwischen
konnten wir diesen Rezeptor auch in Oocyten (Eizellen) des
Krallenfrosches Xenopus laevis funktionsfähig einbauen und das
elektrische Signal durch zwei zusätzlich in die Eizellen
eingeschleuste Proteine verstärken. Mit Hilfe elektrophysiologischer
Methoden läßt sich der induzierte Strom messen (Abb.4). Zusätzlich
stellen wir ein Virus (Semliki-Forest-Virus) her, das das Gen für
den menschlichen Riechrezeptor enthält. Dies erlaubt es uns, diesen
Rezeptor auch in lebendes natürliches Gewebe einzuschleusen. In der
Zwischenzeit haben wir noch 10 weitere Gene für Riechrezeptoren auf
Chromosom 17 isoliert und kloniert, und dabei festgestellt, dass
sich die entsprechenden Rezeptorproteine zum Teil nur durch einige
wenige Aminosäuren der insgesamt 320 Aminosäuren langen Kette
unterscheiden. Die Kenntnis der wirksamen Düfte für diese Rezeptoren wird
uns die Möglichkeit geben, die spezifischen Aminosäuren zu
identifizieren, die an der Bindung des Duftmoleküls beteiligt sind
und mehr über die molekularen Mechanismen der Wechselwirkung
zwischen Rezeptor und Duftmolekül zu erfahren.
Diese
Erkenntnisse der Grundlagenforschung eröffnen neue Perspektiven im
Anwendungsbereich. Mit Hilfe sog. ,,molecular-modelling"-Verfahren
ließe sich für einen Rezeptor der ideale Ligand (Duft)
konstruieren bzw. durch kleine Veränderungen am Rezeptorprotein ein
,,Super"-Rezeptor für einen bestimmten Duft erzeugen.
Vor allem die chemische Industrie (Parfümindustrie) hat dafür
bereits großes Interesse bekundet. Damit sind auch die
Voraussetzungen gegeben, um in Kooperation mit Chemie- und
Pharmafirmen an einem Biosensorsystem zu arbeiten, mit dessen Hilfe
für den Menschen relevante Düfte erkannt und identifiziert werden
können. Die „künstliche Nase" könnte der zuverlässigen
Qualitätskontrolle bei Lebensmitteln dienen, Produktmischungen
entschlüsseln (,,blended" Kaffee) und damit für immer gleiche
Geschmacksqualität sorgen, oder Düfte erkennen, die Gefahren
signalisieren.
Ein anderer Zukunftsaspekt liegt im klinisch-medizinischen Bereich.
Menschen, die angeboren oder durch eine Erkrankung bestimmte Düfte
nicht riechen können oder den Geruchssinn vollständig verloren haben
(partielle bzw. totale Anosmie), könnte mit Hilfe des erwähnten
Virussystems zumindest ein Teil ihres Geruchssinns wieder
zurückgegeben werden. Erkrankungen, die von charakteristischen
Gerüchen begleitet werden (Diabetes, Nierenerkrankung, gewisse
Formen der Schizophrenie usw.) ließen sich mit Hilfe von Biosensoren
aufspüren.